Danke für eure Antworten! Ich fand vieles sehr aufschlußreich, auf einiges möchte ich eingehen.
*****s42:
*******inky:
Was ist ggf. sonst noch nötig, um eine Beziehung zu gestalten außer Sex und Liebe ?
Gegenfrage: Sind Sex und Liebe überhaupt wichtig, um eine Beziehung zu gestalten?
Naja, für eine Liebesbeziehung ist Liebe schon wichtig.
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*****s42:
*******inky:
Kann man sich lieben, aber so sehr nicht zusammenpassen, dass keine Beziehung möglich ist?
Ich finde: Ja, kann man.
Ist dann halt so - vielleicht passt es ja in einer Wochenend- oder Fernbeziehung?
Naja, das wäre doch eine Beziehung!
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*****s42:
Wie ihr eure Begriffswelt definiert, ist letztlich eure Sache. Wichtig ist doch nur, dass jeder weiß, was der Andere mit seinen Worten meint. Und darüber sollte man sich schon verständigen, ggf. in einem Gespräch auch mal spiegeln (also mit eigenen Worten wiederholen, was man gerade verstanden hat) - einfach um Missverständnissen weniger Raum zu lassen.
und
*******_68:
Warum so kompliziert? ;-).
Nun, ich schrieb ja schon:
*******inky:
Natürlich sind Worte nicht wirklich wichtig, wenn der Inhalt stimmt. Aber weil wir öfters mal aneinander vorbeigeredet haben, weil z.B. mein Pärchen automatisch von mehr gemeinsamem Alltag ausging als ich, bin ich jetzt doch mal neugierig, wie die User der Liebes-Gruppe dies sehen.
Und wir kommunizieren auch viel und haben schon meine und seine Axiomatiken miteinander abgeglichen. Aber ich finde es sehr spannend, dass es überhaupt verschiedene Axiomatiken gibt in diesem Bereich. Vielleicht sollte ich dazusagen, dass ich Physikerin bin mit theoretisch-mathematisch Schwerpunkt. Und auch BDSM-erin mit einer der ausführlichsten BDSM-Webseiten, die auch schon als "BDSM-Kompendium" bezeichnet wurde, wo ich auch diverse Kinky-Praktiken mit einer gewissen Faszination auseinanderdrösele. Nur um solche Basics wie "Liebe" etc. hatte ich mich bislang nicht gekümmert, weil es da noch nie zu Reibereien kam - die jetzt finde ich einfach spannend, teils anstrengend, aber eben auch meine Neugierde weckend, und nun beschäftige ich mich eben mit "Liebe und verschiedenen Beziehungs-Ansätzen".
Zum Beispiel stelle ich auch fest, dass einige polyamore Menschen Liebe viel allgemeiner verstehen als ich und wirklich allen Menschen, mit denen sie meiner Meinung nach dasselbe habe, was ich bislang mit meinen "Affären" hatten, gegenüber schon von "Liebe" sprechen. Diese Menschen reden auch von "love spreading" - also dem generösen Verteilen von Liebe, sie scheinen sehr stark von der "Free Love"-68er-Bewegung geprägt.
Ich hingegen habe bzgl. des Begriffs "Liebe" durchaus ein recht exklusives Verständnis, zwar nicht mono-exklusiv, aber oligo-exklusiv (oligo = mehrere). Genaugenommen sollte ich mich wohl nicht polyamor, sondern oligoamor nennen. Ich kann mit vielen Menschen ficken (und mit denen Affären haben), aber nur wenige Menschen lieben (und mit denen Beziehungen haben).
Ich glaube nicht, dass die Häufigkeit des Zusammenseins, sondern die Art des Zusammenseins, den wesentlichen Unterschied ausmachen. Und dann ist eben schon die Frage, ob der Unterschied zwischen einer Wochenendaffäre oder einer Wochenendbeziehung außer im Intimitätsgefühl noch in etwas anderem liegt?
Natürlich muss ich das für mich mit meinen Partner*innen klären bzw. aushandeln bzw. ausprobieren. Aber ich bin eben trotzdem interessiert daran, verschiedene Denkmuster / Ideologien / Axiomatiken kennenzulernen.
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*******_68:
Wie bei normalen Beziehungen/Freundschaften auch, definiert man doch, was man bereit ist zu geben und was man dafür haben möchte. Genau aus dieser Schnittmenge erklärt sich von alleine das Gerüst für die Beziehung. Auftretende Probleme ergeben sich natürlich durch Unehrlichkeit, Oberflächlichkeit oder aber auch durch Veränderung der Standpunkte aufgrund neuer Ausgangssituationen. Aber genau deswegen sollte man einfach nochmal genauer definieren was man haben möchte, und dann dürfte es doch relativ einfach sein.
Auftretende Probleme ergeben sich auch aus bis dato völlig unhinterfragten Grundannahmen, die z.B. durch Sozialisation in unterschiedlichen Subkulturen entstanden sind, also durch das, was man für "selbstverständlich" hält. So, wie es auch sorbas schreibt:
*****s42:
[Man glaubt, jeder andere Mensch meine das gleiche, wenn er die gleichen Worte verwendet.
Dann fragt man einander zum Beispiel, ob man das kommende Wochenende miteinander verbringen mag, und ein Partnermensch räumt bewußt die gesamte Zeit frei und sagt alles andere ab und erledigt alle to-do's im Vorfeld, und dann stellt man fest, dass der andere aber am Wochenende im Home-Office Bereitschaftsdienst hat. Oder einer geht davon aus, dass bislang Sex so toll war, dass man den "natürlich" wieder hat, und der andere will tatsächlich vor'm Fernsehen Serien gucken. Klar, das klärt sich im Lauf der Zeit. Aber erstmal summieren sich ggf. Enttäuschungen, weil man eben vorher NICHT definiert hat, was man unter "Zeit miteinander verbringen" verstanden, weil jede/r dachte "genauso, wie ich es aus meinen früheren Beziehungen kenne" und "alle Leute machen das so". Inzwischen habe ich gelernt, dass wir aus so unterschiedlichen Welten kommen, dass es systematisch zu Enttäuschungen kommt, OBWOHL man glaubte, im Vorfeld genau definiert zu haben, was man anbieten mag oder was man sich wünscht. - Darauf zielte auch meine Frage ob, ob dann irgendwann herauskommen kann, dass GAR KEINE Beziehung geht, auch keine Wochenend-Fernbeziehung, oder ob "man" (bewußt in Anführungszeichen!!!) immer eine Lösung finden kann, wenn "man" das ernsthaft möchte.
Dies frage ich u.a. deshalb, weil die eine unserer grundverschiedenen Grundannahme zu "dann paßt es halt nicht" und die andere zu "klar, da muss man halt Beziehungsarbeit leisten" tendiert, falls die Mißverständnisse nicht "bald" (ebenfalls Anführungszeichen!) aufhören.
Auf obwohl es natürlich keine objektiv eindeutige Antwort geben kann, interessiert mich neben einer soziologisch-linguistischen Analyse (für die ich wohl wirklich auch ein gewisses "Steckenpferd" habe) bzw. Detail-Untersuchung von mir inzwischen bereits geläufigen Alternativ-Ansichten auch noch, welche mir bereits noch nicht geläufigen Alternativ-Ansichten es vielleicht auch noch gibt. D.h. ich erhoffe mir auch eine Perspektiven-Erweiterung.
Mir geht es auch nicht darum, die Weisheit mit Löffeln zu pachten und die "richtige" Definition von Liebe zu haben. Aufgrund meines mathematischen Bezugs gehe ich einfach davon aus, dass man jede Definition verwenden kann, wenn man das jeweilige Referenzsystem benennt, und dass man dann - wenn man die möglichen Referenzsysteme kennt- eben auch ineinander umrechnen bzw. übersetzen kann.
Wenn ich z.B. das stille Berühren eines Geschlechtsteils nicht per se für Sex halte, wenn es mir dabei eher um wohlige Nähe als um orgasmus-zielende Reibungsaktivität geht, aber mein gegenüber das tut, weil er jede nicht-ärztliche Genitalberührung als sexuelle Handlung interpretiert, dann ist es nicht wichtig, ob das letztlich Sex IST oder nicht (mein Definitionskompromiß wäre übrigens "nicht sexuell motivierte Sexualhandlung"), aber es ist hilfreich, im Vorfeld zu wissen, was gemeint ist, wenn jemand "heute Abend keinen Sex will" oder wenn jemand "nur kuscheln ohne Sex" möchte. Da kann es hilfreich sein, dann "nur kuscheln ohne Sex nach deinem Verständnis" oder "nur kuscheln ohne Sex nach deinem Verständnis" zu sagen, nachdem man gemerkt hat, dass sonst eine/r oder beide regelmäßig frustriert sind oder auf was warten, während das Gegenüber wohlig einschläft. Nur als eines unter vielen Beispielen.
In der Poly-Szene begegnet mir z.B. auch das Wort "flauschen", was ich vorher nicht kannte. Mir widerstrebt es eigentlich, etwas "flauschen" zu nennen, aber wenn ich weiß, dass ich so besser verstanden werde in gewissen Kreisen, ist das hilfreich. Ähnlich ist es mit Tantra-Begrifflichkeiten und BDSM-Begrifflichkeiten, die teilweise auch ineinander übersetzt werden können. Für Sexualpraktiken hab ich das oft schon durchdacht (und eben auch meine Homepage damit gefüllt), für Liebes- und Beziehungs-Thematiken eben nicht.
Wenn eine/r sich eine Beziehung wünscht und der andere zustimmt, aber eben an Wochenendbeziehung denkt, weil schließlich "jeder eine Wohnung hat und einen Job etc." und der andere schon automatisch an gepackte Koffer denkt, dann ist auch irgendwann der Punkt, wo man eben klären muss, welche Art von Beziehung (bzw. Beziehung in welcher Axiomatik) man möchte.
Man könnte das auch ohne Axiomatiken klären, aber ich mache deshalb in einem FORUM eine Art Umfrage, weil ich als Wissenschaftlerin die unterschiedlichen Subkulturen und ihre scheinbar typischen Axiomatiken tatsächlich auch soziologisch interessant finde. Und ein paar der Erkenntnisse fließen dann vielleicht auch in die individuelle Negotiation (ein Begriff für das Abstimmen von Wünschen, Bedürfnissen, Tabus etc. aus dem BDSM, wörtlich "Verhandlung") mit den aktuellen Liebespartnern ein.